Hike&Fly – aber richtig: Interview mit A.M. Flammersfeld
VON GLIDERHUB.COM · 4. December 2014
Anne-Marie Flammersfeld, Extremsportlerin und weltbeste
Ultramarathon-Läuferin, läuft gerne weit und schnell – zum Beispiel 106
Kilometer durch Transsilvanien.
MJ: Anne-Marie Flammersfeld, wer bist du?
AMF: Hallo, ich bin 36jährig, Diplomsportwissenschafterin und betreibe mein eigenes Unternehmen Allmountainfitness, in welchem ich persönliche Trainingsberatung anbiete. Seit 2012 bin ich Ultraläuferin und somit täglich am Sport machen.
Seit 2006 wohne ich in St. Moritz, und weil es da keinen
Handballverein gibt, musste ich nach Alternativen suchen – und fand so
zum Laufen. Einige Jahre später (2010) traf ich in Patagonien Gunnar aus
Norwegen, der auf dem Weg zum 4-Deserts Race Antarctica
war – 250 Kilometer in 6 Tagen, durch die Antarktis. Wieder zu Hause
habe ich recherchiert, reflektiert und den Trainingsbeginn festgelegt
mit dem Ziel, 2012 alle Wüsten zu durchlaufen! (Anm. d. Red.: Sie hat alle vier Rennen gewonnen!)
MJ: Wieso hast Du Dir einen 1-Jahres-Plan erstellt?
AMF: Ein Jahr, weil ich mich gründlich vorbereiten musste, aber auch
weil es mit Begeisterung einfach ist, Ziele zu erreichen. Als
erstes kommt die Entwicklung der Strategie, wie ich das Ziel erreichen
will, mit Teilzielen. Dazu die Vertiefung von Themen wie Ernährung,
Trainingsplanung, etc. und die regelmässige Kontrolle des Wegs zum Ziel,
Reflexion, Anpassung. Das tägliche Laufen und Trainieren ist erfüllend,
ein Vergessen von Raum und Zeit.
MJ: Neben deinen Ultramarathons, von welchen Du jedes Jahr ein paar machst, welches ist Dein nächstes Langfristprojekt?
AMF: Bottom-Up – vom tiefsten Punkt eines Landes zum höchsten, nur mit eigener Muskelkraft. In der Schweiz hab ich es bereits gemacht,
nun werde werde ich mit Bottom Up Volcanic die jeweils höchsten Vulkane
jedes Kontinents vom tiefsten Punkt aus besteigen. Im Iran war ich
dieses Jahr, ein fantastisches Erlebnis! Im nächsten Jahr steht der
Kilimanjaro an. Danach Süd- und Nordamerika. Ich mag den Reiz an neuem,
daher suche ich immer Wettkämpfe an Orten, an welchen ich noch nicht
war.
Laufen und Fliegen
MJ: Wie ist Deine Beziehung zum Gleitschirmsport?
AMF: Ich war einmal Passagierin bei Michael Gebert (von Flywithandy und Vogelfrei,
mehrmaliger X-Alps Teilnehmer), und musste mich fast übergeben. Vor
seinem X-Alps 2011 habe ich Michael beraten, mentales und körperliches
Training vorbereitet, Ernährungplan erstellt, Strategien für den
Wettkampf entwickelt… Mentales ist beim Fliegen sehr wichtig, beim Hike
wie beim Fly.
MJ: Hat Michael Gebert nach seiner Nomination für das X-Alps 2015 schon angeklopft?
AMF: Ja…
MJ: OK, Michael ist Profi, was Fliegen und Wandern anbelangt. Welchen Ratschlag hast Du für Hike&Fly Anfänger?
AMF: Etwas Training vor dem ersten Hike lohnt sich, so lässt sich
alles etwas mehr geniessen. Grosse Ziele und Träume sind gut, anfangen
soll man aber klein, damit man Reserve hat und sich nicht unnötig in
Gefahr bringt. Und mein leider viel zu früh verstorbener Kumpel Basti
hat immer gesagt: „es lohnt sich immer auf den Berg zu gehen“.
MJ: Bietest Du persönliches Training an, für Personen die besser im Hiking werden wollen?
AMF: Trainingsplanung ist möglich, via E-Mail oder Skype. Aber Kompromisse gibt es keine.
Die
Weltbeste Ultramarathon-Läuferin Anne-Marie Flammersfeld: “Es geht
immer darum, ein Ziel zu haben und darauf hin zu arbeiten.”
MJ: Welche Ratschläge gibst Du Frauen, um sich durchsetzen zu können in Männerdomänen wie dem Laufen oder Gleitschirmfliegen?
AMF: Zum Thema Hike&Fly kann ich sagen, dass Frauen bessere
Austauschsportlerinnen (Fettdepots, Energie) sind. Längere Hikes sind
also besser für Frauen. Und ganz generell: klein anfangen und
kontinuierlich steigern, sich nicht durch andere behindern oder bremsen
lassen, seinen eigenen Weg zu gehen. Es geht nur um dich, nur um
du-gegen-dich (UVU
ist Sponsor von Anne-Marie). Was kann ich, was will ich? Man macht es
nur für sich selbst. Was mir ganz wichtig erscheint, unbedingt auf sein
Bauchgefühl hören!!! Man muss seinen eigenen Weg gehen, um sich selbst
noch besser kennenlernen. Und wenn man in den Bergen unterwegs ist muss
man immer Plan B in der Tasche haben, wenn erste Idee nicht
funktioniert. Das ist sehr wichtig, dann ist man ruhiger unterwegs.
Anne-Marie zu den praktischen Themen wie Essen, Schuhen, Socken.
MJ: Was isst zu zum Frühstück? Welches Essen nimmst Du mit auf eine Wanderung? Welche Getränke?
AMF: Frühstück: Müsli mit Vollkorn-Haferflocken und Nüssen, dazu
Nuss-Mandel-Milch (keine Kuhmilch), Zimt. Vollwertigkeit beachten (also
nicht nur Weissbrot), sondern langkettige Kohlenhydrate. Dazu ein Wasser
mit Zitrone und einen leckeren Kaffee. Klar gibt’s auch mal ein Rührei
oder dergleichen. Hauptsache Frühstück! In meinem Rucksack habe ich
immer Biberli, Haferriegel, Nüsse, und Wasser dabei.
MJ: Welches Schuhwerk empfiehlst du?
AMF: Je nach Gelände und Training ist das unterschiedlich. Ist der
Körper und insbesondere die Fussgelenke trainiert, kann man eher
leichtes Schuhwerk wählen. Ist das Gelände alpin und steinig hilft ein
knöchelhoher Schuh. Zum Wandern ist gutes Profil sehr wichtig! Goretex
ist nicht zwingend, beziehungsweise ein Kompromiss von Schwitzen zu
Wasserdurchlässigkeit. Wer keine schwitzigen Füsse hat, ist mit Goretex
wohler als jemand mit Schwitz-Füssen.
MJ: Inwiefern passt Du Deine Kleidung an? Welche Socken, Hosen und Shirts trägst Du?
AMF: Wichtig ist eine gute Passform, die Kleidung soll angenehm zu
tragen sein. Das Zwiebelprinzip lohnt sich auf jeden Fall. Beim Wandern
nicht zu warm anziehen, damit der Körper nicht überhitzt. Und für
Pilot(inn)en wichtig: damit man danach nicht auskühlt und/oder sich
erkältet, unbedingt ein Wechselshirt/Unterleibchen mitnehmen. Oft sind
Stöcke ganz praktisch. Sie sollten möglichst leicht sein (Black Diamond
Karbon). Generell soll man so leicht wie möglich unterwegs sein und nur
mitnehmen, was nötig ist.
MJ: Und Socken?
AMF: Socken sollten möglichst eng sein. Ich verwende Kompress-Sport.
Hier gilt es Reibung zu vermeiden, um keine Blasen zu kriegen, das
heisst eher keine dicken Wandersocken. Wenn man merkt, dass sich Blasen
bilden, anhalten und verarzten, denn es wird nicht besser! Es kann auch
helfen, die neuralgischen Stellen vorher zu tapen, das sollte man aber
vorher schon mal getestet haben.
MJ: Welche Gadgets wie Pulsmesser etcetera verwendest Du?
AMF: Ich versuche, möglichst frei von Technik unterwegs zu sein. Dazu verwende ich eine Suunto GPS Uhr, primär wegen Kompass, Höhenmesser und GPS. Die Herzfrequenz messe ich nur im Intervalltraining, kann man aber machen, um Überbelastung zu vermeiden.
Wandern, aber richtig
MJ: Wie geht man einen “Berglauf” am besten an? Langsam oder schnell, mit oder ohne Pausen?
AMF: Eher langsam anfangen, um auf Betreibstemperatur zu kommen. Ich
empfehle jeweils „Laufen ohne zu Schnaufen“, und etwas Reserve für das
Runterfliegen (oder Runterwandern, wenn die Bedingungen es nicht
zulassen) zu haben. Man soll die Wanderung auf jeden Fall geniessen
können, falscher Ehrgeiz verdirbt nur das Vergnügen. Pausen dauern
idealerweise nur 1 – 2 Minuten, weil der Körper sonst zu sehr auskühlt.
Also sollte das Getränk in Reichweite sein. Alle 90 – 120 Minuten kann
man 20 – 30 Minuten Pause machen und etwas essen – je nach Ambition
natürlich.
MJ: Wohin richtest Du Deinen Blick wenn Du wanderst? Hoch (in die Weite), geradeaus, auf die Füsse?
AMF: Gute Frage! (lacht) Normal in einem schrägen Winkel nach unten, 2
– 3 Meter vor den Füssen. Bergauf kann man da eher flexibel sein,
bergab muss man unbedingt vorsichtig und konzentriert sein!
MJ: Welche Sicherheitsvorkehrungen triffst Du vor dem Training?
AMF: Bei langen Touren nehme ich ein Mobiltelefon mit, ansonsten
keine. Bei Hike&Fly lohnt es sich, jemanden zu informieren, in
welches Gebiet man geht. Insbesondere falls man alleine unterwegs ist.
So weiss man im schlimmsten Fall, wo suchen.
Zum Schluss noch zwei wichtige Ratschläge
MJ: Was möchtest Du unseren Leser(inne)n als Inspiration mitgeben?
AMF: Wenn man den Berg erklommen hat, ist das Gefühl noch viel
intensiver, als nur mit der Seilbahn hoch zu gehen! Man kann ja mal
einen Sonnen Auf- oder Untergang planen und erleben, oder oben
übernachten. Die Verbundenheit mit der Natur zu suchen und fühlen, ist
eine absolute Bereicherung.
MJ: Schlussfrage: wie kriegt man den Duft aus den Schuhen???
AMF: Ja der Gestank kann echt fies sein… Ich stelle meine Schuhe für
ein bis zwei Tage auf den Balkon. Die Sohlen nehme ich raus und stelle
sie auf den Ofen, damit sie trocknen. Sprays sind wahrscheinlich eher
kontraproduktiv.
Das Projekt “Bottom Up”, die höchsten Vulkane jedes Kontinents:
- Asien: Mount Damavand (5671m) im Iran
- Europa: Mount Elbrus (5642m) in Russland
- Afrika: Kilimandscharo (5892m) in Tansania
- Ozeanien: Mount Giluwe (4367m) in Papua Neuguinea
- Nordamerika: Pico de Orizaba (5636m) in Mexiko
- Südamerika: Ojos del Salado (6893m) in Chile
- Antarktis: Mount Sidley (4181m)
Anne-Marie unterstützt auf Ihren Läufen die Paulchen Esperanza Stiftung. Unterstützung ist immer willkommen, auch von Pilot(inn)en.